Schöne neue (Laufrad-) Welt

Kennt Ihr das auch? Früher war alles besser: die Winter kälter und länger, die Sommer wärmer und schöner…, so sagten jedenfalls immer meine Eltern, Oma kam aus dem Schwärmen über die gute alte Zeit auch wirklich nie raus – wie ich diese Vergleiche immer gehasst habe! Und nun? Ich gebe es nur ungern zu, aber ich fange schon selber damit an.

Jürgen Schlender

Also früher, zu der Zeit als es noch DAS MTB gab und welches genau EINE Laufradgröße hatte – nämlich 26“ – war alles schön! Auf wurde es dann hipp kleinere Räder zu fahren: 24“ wurde populär im FR- und DH-Bereich und ich bin sie natürlich auch gefahren. Vorne und hinten…was für ein Scheiß, was für eine verkorkste Rennsaison habe ich damit durchgestanden, nur weil ich „modern“ sein wollte. Aber alle sagten Ja erst mal, das sei geil. Aber sehr schnell besonnen sich dann wieder alle auf die größeren 26er Räder. War nämlich doch gut, das „alte Maß“. Doch es sollte nicht lange dauern, da gab es schon die nächste Weltneuheit: 25“ war geboren und war nun das Maß der Dinge. Schließlich sollte es ja das Beste aus 24 und 26 Zoll sein und der absolute Bringer werden. Aber auch dieses Strohfeuer war schnell verraucht, die 25er kamen schnell und waren noch schneller wieder verschwunden. So schnell, dass es die Meisten gar nicht erst mitbekommen hatten.

Danach hatten wir wieder viele ruhige Jahre bis in den USA auf einmal die großen 29“ Laufräder geboren wurden. Meine ersten Gedanken waren nur: „Oh mein Gott, Rennräder im Wald und im Gebirge, wie schlecht ist das denn?“. So dachte ich allerdings nur bis zu dem Tag, an dem ich unser erstes eignes und von der Geo her völlig eigenständiges 29er Enduro das erste Mal gefahren bin. Ab diesem Zeitpunkt war ich in die großen Räder verliebt und hatte meinen Frieden geschlossen: 26“ für FR/DH und 29“ für Enduro, Trail und Tour – was für ein toller Sommer war das in 2012. Aber noch im gleichen Jahr gab es die nächste Laufradklimaveränderung: 27,5“ oder 650B wurde geboren und ganz ehrlich, ich dachte nur, warum denn jetzt dieser Mist? Dahinter konnten doch nur die Macher von 25“ stecken, aber dieses Mal waren sie damit durchgekommen. Meins war das nicht – noch nicht – aber als Bikehersteller mussten wir unsere Modellpallete anpassen, denn 26“ war jetzt ja so was von Old-School, ging gar nicht mehr, brachte keinen Spaß und lag wie Blei im Lager…

Auch damit habe ich dann letztlich meinen Frieden gemacht, nachdem ich gesehen und erfahren hatte, was man mit dieser Laufradgröße so alles Schönes anstellen konnte. Aber was passiert dann nur kurze Zeit später im Jahre 2014 hier in Germany, auf einmal kamen die ganz dicken Reifen aus USA daher. Fat Tire, fat was? Unsere Reifen waren schon immer dick dachte ich. Wer bitte hatte die Dinger nach Europa eingeladen? Wir bei Alutech haben dann aber trotzdem als einer der Ersten überhaupt ein voll gefedertes Fat Tire Enduro gebaut. Was soll ich sagen, die Dinger machen süchtig und sind aber so was von voll mein – ist ja auch wieder 26“, zwar 4.0“ breit aber egal.

So hier könnte jetzt eigentlich Schluss sein mit der Story aber die Entwicklungen in der Bike-Industrie lassen uns auch dieses Jahr in Sachen Laufräder nicht in Ruhe, wurde doch gerade noch das neue Plus-Reifenformat geboren. Habt Ihr noch nichts von gehört? Werdet Ihr aber in den nächsten Monaten. Ist ja das Beste aus 27,5“/29“ und Fat Tire, also kann das ja nur gut sein.

Wir Rahmen- und Bikehersteller dürfen jetzt wieder alles neu anpassen bzw. entwickeln und ob die Bikes jemals wieder so verspielt sein werden, wie zu guten alten 26er-Zeiten weiß jetzt noch keiner. Ich hoffe Ihr behaltet den Überblick, ich bin auf der Suche danach und leider kann ich meine Oma nicht mehr fragen, aber Ihr wisst ja eh was Sie gesagt hätte…

Ride on euer Onkel Jü

Jürgen Schlender

Inhaber von Alutech Cycles und seid mehr als einem Jahrzehnt an forderster Front was die Entwicklung moderner Mountainbike Rahmenformen, -kinematiken und Einsatzbereiche geht.

4 thoughts on “Schöne neue (Laufrad-) Welt”

  1. Hi Jü,

    schön geschrieben und auch mir liegt der Spruch „Früher war alles besser“ in den Ohren. Liegt vermutlich am Alter 😉

    Aber im Grunde hast du es doch im letzten Satz auf den Punkt gebracht.
    „Wir Rahmen- und Bikehersteller dürfen jetzt wieder alles neu anpassen bzw. entwickeln….“

    Naja, was wäre denn, wenn sich die Rahmen- und Bikehersteller einfach mal auf die Hinterfüße stellen und sagen „Ok Jungs…es reicht jetzt mit den verschiedenen Laufradgrößen. Kommt nicht jedes Jahr mit was neuem an. Irgendwann ist auch mal gut“.
    Aber es funktioniert doch. Und genau deswegen haben wir immer wieder was neues, noch besseres noch tolleres.
    Ich frage mich immer wieder, wer soll sich bei den Preisen denn bitte jedes Jahr ein neues Bike leisten können???
    Die Bikes wären sicherlich günstiger, wenn ihr Bike- und Rahmenhersteller nicht jedes Jahr das Rad neu erfinden müsstet. Immer neue Entwicklungen, Berechnungen, dass muss doch der Kunde alles zahlen.

    Ich bin ja gespannt wie lange das so noch geht und kann nur hoffen, dass man zumindest nicht jedes Jahr was neues erfindet, was noch toller und geiler ist.

    In diesem Sinne, viel Spaß beim entwickeln von neuen Rahmen um der Laufradindustrie gerecht zu werden 😉

    Lefdi

  2. Ein Glück, dass ich da kein Problem mit habe. 28″ Zoll und der Käs ist gegessen 😉
    Vielleicht auch eine Alterserscheinung!

  3. Hi Jü
    Geil geschrieben und wie recht ich dir als Radhändler geben muss.
    Allerdings hast du bei Laufrädern die Achsnormen vergessen, die gehören nämlich unweigerlich dazu.
    Weist du noch als wir Hinterradnaben mit 126 mm Einbaumaß hatten, danach kam 130 mm, o.k war damals halt so, Schnellspanner kam schlieslich vom Rennrad gab es nix anderes.
    Dann das Maß der Dinge wie der 26er 135 mm wie geil war das den, ein Maß und alles o.k.
    Denkste wir wären ja nicht die Fahrradbranche ohne das wieder was neues her müsste.
    135 mm Stechachse mit Muttern, kennt ihr nicht? Hat sich zum Glück nicht durchsetzt!
    Dann der Hammer 142mm X12, Syntace seit dank. Ein neuer Standart am Achsen Firnament wenn da nur nicht jemand gedacht hätte 150mm mit 12mm Durchmesser wäre doch auch gut.
    Oder noch besser die Freunde aus Amiland, nö nö beides blöd 148 mm ist viel besser, dass beste aus allem, irgendwie die 27,5″ der Steckachsen, was ich nicht hoffe, soll sie mal behalten.

    Jetzt schicken die aber ja noch die dicken Dinger über den Teich da kommen die Freunde mit ihren 148 mm gar nicht bei. Jetzt müssen es 170 oder 195 mm sein. Ja gibt uns mehr noch mehr noch viel mehr………….mehrrrrrrrrrrr

    Gruß Fiedler

  4. Da die schon angeführten Positionen bekannt sind, möchte ich diese ebenfalls längst bekannte einbringen: Dann kauft doch einfach nicht das neue Zeug! Oder in Richtung Hersteller, Händler und Co.: Bleibt einfach bei Eurem bestehenden Sortiment. Ich meine das kein bisschen ironisch, denn altbewährte Konzepte haben in vielen Märkten eine treue Stammkundschaft halten und sich in ihrer Nische prima auch gegen übermächtige Innovationen verteidigen können.
    Für mich persönlich kann ich sagen, dass ich nach einer Woche MTB-Tour in fernen Ländern, verbracht auf einem geliehenen 29er, sehr genau wusste, dass ich so ein Bike gerne haben möchte: Ich habe die für mich persönlich spürbaren Vorteile wirklich er-fahren. Nun endlich bin ich stolzer Besitzer eines Tofane.
    Aber es geht weiter: Nachdem ich im letzten Jahr mal ein Fatbike probiert habe, muss ich erstaunt feststellen, dass mir auch das sehr gut gefallen hat, weshalb ich plötzlich aufhorche, wenn es um 27+ geht (die Reifengröße passt leider nicht ans Tofane). Wie Jürgen schreibt, könnte 27+ der Kompromiss im Sinne best-of-all sein. Und glaubt mir, ich bin mit demnächst 56 Jahren aus dem Alter raus, dass ich für sinnlose Marketing-Gags anfällig werde. Mal sehen, wie es mit dem Thema weiter geht.
    Innovationen setzen sich dann durch, wenn sie etwas besser können als die vorangegangenen Lösungen. Und das ist, immer abhängig von den eigenen Vorlieben, manchmal das Neue. Kleine Testfragen:
    – Wer hört noch Vinylplatten oder CDs? Wer hört noch nicht MP3-Mucke aus dem iPad, dem Smartphone oder einer anderen digitalen Quelle?
    – Wer guckt noch Filme auf VHS-Video-Kassetten? Auf DVD? Und nicht auf Blueray oder über einen Streaming-Dienst?
    – Wer hat kein Smartphone, das unfassbar viele Funktionen bietet?
    Womit ich zu Protokoll geben möchte: Ich bin wohl doch anders als Deine Oma, lieber Jürgen.
    Viele Grüße, Guido (womöglich irgendwann mal Opa?)

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